Aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen und die derzeitige Situation am Wohnungsmarkt stellen die Wohnungs- und Baupolitik vor große Herausforderungen. Vor allem in Großstädten und Ballungszentren ist aufgrund der Abwanderungstendenzen aus ländlichen Regionen, Zuzügen aus dem Ausland sowie der steigenden Zahl an Geflüchteten in den kommenden Jahren ein weiterer Anstieg der Bevölkerung zu erwarten. Auch die Verdoppelung des Anspruchs auf Wohnfläche in den letzten 50 Jahren führte dazu, dass die Nachfrage nach Wohnungen enorm gestiegen ist. Die aktuelle BBSR-Wohnungsmarktprognose 2030 weist für den Zeitraum zwischen 2015 und 2020 einen Bedarf von ca. 270.000 neuen Wohnungen pro Jahr aus, zusätzlich zum Nachholbedarf für die jahrelang zu geringe Neubautätigkeit. Da Wohnen eines der Grundbedürfnisse des Menschen ist, muss mit allen Mitteln versucht werden, die hohe Nachfrage nach bezahlbarem und bedarfsgerechtem Wohnraum zu bedienen und die Bau- und Planungskosten niedrig zu halten.
Dringend gesucht: bezahlbare Wohnungen mit hoher Qualität
Der Anspruch auf Versorgung mit leistbarem Wohnraum stellt ein Grundrecht der Bevölkerung dar. Um das Wohnen wieder erschwinglicher zu machen, gibt es verschiedene Lösungsansätze, wobei die Förderung von Neubauaktivitäten – neben der sozialen Wohnraumförderung und der Unterstützung einkommensschwächerer Haushalte bei den Wohnkosten – eine zentrale Strategie ist. Doch nicht nur ein Mehr an Wohnungen ist gefragt, spezifische Nachfragegruppen erfordern auch ein differenziertes Wohnraumangebot, beispielsweise für die steigende Anzahl der Singlehaushalte, für junge Menschen in Ausbildung oder für unterschiedliche (Wohn-)Kulturen. Aufgrund des demografischen Wandels steigt auch die Nachfrage nach altersgerechten, barrierearmen Wohnungen. Dazu kommen weitere Anforderungen an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit von Neubauprojekten. Dies führt zu teilweise sehr hohen technischen, planerischen und konstruktiven Standards im Wohnungsbau, die eine Baukostensteigerung zur Folge haben. Eine der aktuellen Herausforderungen am Wohnungsmarkt ist deshalb, Möglichkeiten zu finden, um Bau- und somit in weiterer Folge Mietkosten zu reduzieren. Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen hat sich dies zur Aufgabe gemacht.
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen
Um den aktuellen Herausforderungen am Wohnungsmarkt mit vereinten Kräften entgegenzutreten, schlossen sich Bund, Länder, Kommunen und Verbände im Sommer 2014 im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen zusammen. Es gliedert sich in fünf Arbeitsgruppen: Aktive Liegenschaftspolitik, Soziale Wohnraumförderung und weitere Investitonsanreize, Baukostensenkungskommission, Altersgerechter Umbau im Quartier sowie Soziales und Klimafreundliches Wohnen und Bauen.
Bezahlbares Bauen ist Voraussetzung für bezahlbares Wohnen
In den letzten Jahren kam es zu einer kontinuierlichen Erhöhung der Baukosten. Der Baupreisindex des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass die Baupreise für neu errichtete Wohngebäude im Februar 2016 gegenüber Februar 2015 um 1,7 % gestiegen sind.
Der Baupreisindex
Der Baupreisindex wird vierteljährlich durch das Statistische Bundesamt nach Erhebungen in der Bauwirtschaft ermittelt. Er gibt die langfristige Entwicklung der Preise für bestimmte Bauleistungen wieder (Basisjahr 2010 = 100).
Um die Entwicklung der Baukosten zu analysieren und Kostentreiber im Wohnungsbau zu identifizieren, wurde die Baukostensenkungskommisson (BKSK) als eine der Arbeitsgruppen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen gegründet. Ihre Aufgabe ist es, die Möglichkeiten für eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des Bauens aufzuzeigen. So sollen vor allem „überdimensionierte“, preistreibende Standards zu Ausstattung und Technik und Materialkosten sowie Anforderungen des Bauordnungsrechts und aufwendige Verfahrensabläufe überprüft werden. Dabei dürfen jedoch Erfordernisse der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes sowie qualitative und soziale Aspekte des Wohnungsbaus nicht vergessen werden. Im November 2015 hat die BKSK zentrale Handlungsempfehlungen, konkrete Maßnahmenvorschläge und einen Bericht der Baukostensenkungskommission vorgelegt, welche im März 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Kostentreiber sind nicht immer Kostenfallen
Auch wenn das oberste Ziel lautet, Bau- und Wohnkosten einzusparen, sollte nicht auf eine Mindestqualität verzichtet werden. Dies bewirkt zwar eine kurzfristige Kostensenkung, verursacht jedoch auf lange Sicht betrachtet überwiegend negative Effekte mit teils hohen Folgekosten und würde somit mittelfristig auf geringe Akzeptanz stoßen. Der Verzicht auf Dachbegrünungen würde die Baukosten beispielsweise um 4 % reduzieren. Der damit einhergehende Verlust von Versickerungsflächen und städtischen Grünstrukturen hätte jedoch negative Auswirkungen auf das urbane Kleinklima und die Umwelt. Auch Schallschutzmaßnahmen steigern die Baukosten um ca. 6 %, jedoch lohnt sich diese Mehrinvestition im Hinblick auf den Schutz vor permanentem Straßenlärm und der eigenen Wohngesundheit allemal. Die Reduktion von Pkw-Stellplätzen, welche mit ca. 10 % der Gesamtbaukosten (durchschnittlich 250 €/m2) zu Buche schlägt, würde sich hingegen durchaus rentieren und hätte wiederum positive Auswirkungen im Sinne einer Förderung der vermehrten Nutzung des ÖPNV.
Der ÖPNV
Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) umfasst alle Transportmittel des öffentlichen Verkehrs (ÖV) im Rahmen der Grundversorgung auf Straße, Schiene und Wasser im Nahbereich. Dies sind beispielsweise Bahn, Bus oder auch Fähre. Ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz mit entsprechenden Intervallen verringert den Gebrauch des eigenen Pkws und senkt somit Schadstoffenemissionen sowie Flächenverbrauch.
Bei allen möglichen Einsparmaßnahmen gilt jedoch, die Kosten stets im Lebenszyklus zu betrachten. Ausschlaggebend sind also nicht nur die Anschaffungs- und Errichtungskosten, sondern auch die Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie die Entsorgungs- und Recyclingkosten des Produkts bzw. der Materialien. Im Folgenden werden fünf aktuelle Positionen zur Einsparung von Baukosten, welche auch im Bericht der BKSK dargelegt werden, kritisch betrachtet:
1.Reduktion von Normen und Reglementierung
Selbst für Laien ist klar erkennbar, dass höhere Ausstattungsstandards und Materialqualitäten sowie gestiegene Anforderungen hinsichtlich der Ausführung der Gebäudehülle (z. B. energetische Qualität) und der Innenausführung (z. B. Fußbodenheizung, Steckdosenanzahl etc.) zu höheren Baukosten führen. Dennoch ist es wichtig, dass Gebäude – bei einer angestrebten durchschnittlichen Nutzungsdauer von 50 bis 100 Jahren – in hoher technischer Qualität ausgeführt und sowohl ökologische als auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Erinnern Sie sich noch an die EU-Verordnung, die festlegte, wie krumm Gurken sein dürfen? Die Normen und Regeln, die Sie beim Bauen beachten müssen, scheinen vielleicht manchmal ähnlich überflüssig. Sie sind aber meist wichtig und notwendig. Das Thema barrierefreies Bauen ist dafür ein gutes Beispiel: Die Anforderungen bezüglich der Beseitigung bzw. Reduktion von Barrieren erhöhen die Baukosten um ca. 20 %. Dennoch ist es – nicht nur in Anbetracht des demografischen Wandels – äußerst wichtig, dass barrierefreie Häuser und Wohnungen errichtet werden, da eine nachträgliche Adaption bzw. Aufrüstung weitaus höhere Kosten verursachen würden. Deshalb gilt es stets abzuwägen, ob die Reduktion bzw. Entschärfung gewisser Bestimmungen tatsächlich auch auf lange Sicht positive Auswirkungen hätte und nicht bloß kurzfristig eine Ausführungs- und Kostenerleichterung bringt.
Bei der Entwicklung und Erweiterung von Normen sollte außerdem stets auf Praxisbezug und einen integralen Ansatz unter Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachgebiete geachtet werden. Internationale Normen sowie Standards, die rein auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen entwickelt wurden, sollten stets kritisch hinsichtlich ihrer Anwendungstauglichkeit und ihrer Folgekosten überprüft werden. Übrigens prüfte auch die EU kritisch – und schaffte die Gurkenverordnung 2009 ab.
2. Technisierungsgrad von Neubauten
Wohngebäude weisen heutzutage einen weitaus höheren Technisierungsgrad auf als noch vor 50 Jahren. Dies hat insbesondere mit grundsätzlichen gesellschaftlichen Entwicklungen und den daraus resultierenden Anforderungen an das Wohnen zu tun. Ein einfaches Beispiel ist die geforderte Anzahl der Steckdosen in einem Neubau, die heute viel höher ist als noch vor wenigen Jahrzehnten. Auch soziale und ökologische Aspekte spielen bei der Technisierung von Neubauten eine Rolle: Technische Lösungen zur Reduzierung von Barrieren oder Assistenztechnologie-Systeme unterstützen ältere Menschen dabei, möglichst lange selbstständig in ihrer Wohnung leben zu können. Zusätzliche Anlagen im Bereich der regenerativen Energien tragen dazu bei, die ehrgeizigen energie- und klimapolitischen Ziele der Regierung zu erreichen. Steigende Anforderungen im technischen Bereich führen jedoch zu steigenden Kosten und einem erhöhten Planungsaufwand, der teilweise eine Vielzahl zusätzlicher Fachplanung notwendig macht. Diese gehen allerdings nicht immer mit einer Steigerung der Effektivität und Effizienz der eingesetzten Technologien einher. Deshalb gilt es kritisch zu prüfen, welche technischen Anforderungen tatsächlich für alle Neubauten und welche nur für einen Teil bzw. in besonderen Fällen gültig sein sollten. Erhöhte technische Ausstattungsstandards, welche zwar einen allgemeinen gesellschafts- oder energiepolitischen Nutzen haben, jedoch von den Bewohnern selbst zu finanzieren sind, sollten mit entsprechenden Zuschüssen gefördert werden.
3. Energieeffizienzstandards
Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung und zum Klimaschutz erhöhen den Technisierungsgrad und damit die Errichtungs- und Ausstattungskosten, insbesondere im Bereich der Heizungs- und Lüftungsanlagen. Die Energieeinsparverordnung legt energetische Mindestanforderungen fest, die jeder Neubau zukünftig erfüllen muss, um das energiepolitische Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Der daraus resultierende gestiegene Anteil der Baukosten für die Erreichung energetischer Standards in den letzten Jahren ist jedoch durchaus gerechtfertigt, weil dies zu einer deutlichen Senkung der CO2-Emissionen geführt hat. Eine Umkehrung dieser Entwicklung würde einerseits die Betriebskosten und andererseits die Emissionen deutlich erhöhen und damit die Klimaschutzziele der Bundesregierung in Gefahr bringen.
4. Vereinheitlichung des Baurechts
Die heterogene Struktur der 16 unterschiedlichen Bauordnungen der Länder erhöht den zeitlichen Aufwand für Recherche- und Planungstätigkeiten und erfordert oftmals zusätzliche Fachgutachten, wodurch sich die Kosten erhöhen. Die Vereinheitlichung und Anpassung des komplexen Baurechts an eine Musterbauordnung würde zwar viel Geld sparen, allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die konkreten Bestimmungen des Baurechts an die jeweilige ortsspezifische Situation angepasst werden müssen. Punktuelle Engpässe am Wohnungsmarkt dürfen nicht dazu führen, dass Standards bundesweit reduziert werden. Das wohl beste Beispiel dafür, dass bundesweit einheitliche Lösungen und Empfehlungen nicht funktionieren können, ist die Stellplatzverordnung): Kommunale Stellplatzpflichten führen vor allem in Ballungsgebieten zu kostenintensiven Tiefgaragen.
Stellplatzverordnungen
In Stellplatzverordnungen ist geregelt, wie viele Stellplätze für KFZ und Fahrräder beim Neubau eines Gebäudes auf dem Grundstück oder in der Nähe errichtet werden müssen. Die Zahl der vorgeschriebenen Stellplätze hängt von der Nutzung des Gebäudes und von der Zahl der Nutzer (bspw. abhängig von der Zahl der Wohneinheiten festgelegt) ab. Die Festlegungen basieren teilweise auf technischen und statistischen Erkenntnissen, wie z. B. dem Motorisierungsgrad (Verhältnis zwischen der Anzahl an Kraftfahrzeugen und Einwohnern).
Deshalb sollte in Großstädten und Gebieten, welche gut mit dem öffentlichen Verkehrsnetz erschlossen sind, über eine Lockerung bzw. eine der jeweiligen Situation angepasste Adaption der Stellplatzverordnung nachgedacht werden. In Hamburg beispielsweise wurde die Pflicht zur Errichtung von KFZ-Stellplätzen bei Neubauvorhaben 2013 abgeschafft. Auch in Berlin besteht lediglich die Pflicht, Behindertenparkplätze sowie ausreichend Abstellmöglichkeiten für Fahrräder zu errichten (BauO Bln §50). Allerdings sind die Menschen in ländlichen Gebieten bzw. kleineren Orten meist nach wie vor auf das eigene Auto angewiesen, weshalb in diesen Regionen sehr wohl Stellplätze im Zusammenhang mit Neubauvorhaben erreichtet werden sollten.
5. Industrialisierung und Standardisierung des Bauens
Auch die Verschachtelung von Fassaden, komplizierte Grundrisse und Sonderanfertigungen erhöhen die Baukosten. Modulares Bauen und der Einsatz von einzelnen Fertigteilen kann bei Anwendung an der richtigen Stelle und in einem ausgewogenen Maß zu einer Senkung von Baukosten führen und beschleunigt die Montage vor Ort. Die Vorfertigung von Bauteilen und Modulen für die Aufstockung von Dächern, typisierte Fenster und Türen sind eben billiger als Spezialanfertigungen. Nutzungsneutrale Grundrisslösungen gewährleisten außerdem eine nachhaltige Vermietung und helfen dadurch, die Kosten für die Anpassung an künftige Bedürfnisse zu minimieren und Lebenszykluskosten zu senken. Nicht nur durch die Standardisierung von Bauprozessen, sondern auch von Planungsprozessen – im Sinne einer Festlegung auf einheitliche Verfahrensweisen oder Schnittstellen – kann dazu beigetragen werden, die Kosten zu senken. Jedoch haben standardisierte Planungsverfahren da ihre Grenzen, wo Nutzungs- und Architekturqualität eingeschränkt werden. Dennoch sollten in Zukunft modularisierte und standardisierte Bauweisen verstärkt zur Anwendung kommen. Als Grundvoraussetzung dafür gilt eine vertrauensvolle und von Beginn an gut koordinierte Zusammenarbeit von Planern und Ausführenden, um Kreativität, Innovationen und Ausführungskompetenzen bestmöglich miteinander verbinden zu können.
Neben diesen fünf Grundpositionen zu Einsparungspotentialen bei Planungs- und Baukosten gibt es eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Gesamtbaukosten Ihres persönlichen Bauvorhabens zu reduzieren.