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Wohnen für Geflüchtete – Teil II

Der Umzug in eine eigene Wohnung stellt für viele Geflüchtete den Start in ein selbstbestimmtes und zukunftsorientiertes Leben dar. Wie der Artikel „Wie Flüchtlinge wohnen (müssen) – der Weg von der Erstaufnahmeeinrichtung bis zur eigenen Wohnung“ darlegt, ermöglicht diese Unterbringungsform, neben der Wahrung der Privatsphäre und der Chance auf gesellschaftliche Teilhabe, für die Kommunen teils erhebliche Kosteneinsparungen. Ist der Einzug von Asylsuchenden in eine private Wohnung jedoch (noch) nicht möglich, müssen viele die Alternative in Kauf nehmen: die Unterbringung in einer Gemeinschafts- bzw. Sammelunterkunft. Diesbezüglich schreibt § 3 Abs. 1 des Hessischen Aufnahmegesetzes vor: „Die Landkreise und Gemeinden sind verpflichtet, die nach § 1 aufzunehmenden Personen in Un­terkünften, die einen menschenwürdigen Aufenthalt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ge­währleisten, unterzubringen.“ Doch was bedeutet eine „menschenwürdige Unterbringung“ konkret, welche Mindeststandards müssen befolgt werden und anhand welcher Kriterien kann eine solche sichergestellt werden?

Das Wichtigste in Kürze

  • Ungefähr die Hälfte der deutschen Bundesländer hat Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge definiert, doch nur in ca. einem Viertel der Länder haben diese einen verbindlichen Charakter.
  • Oberstes Prinzip ist es, eine überschaubare, maßstäbliche Integration der Flüchtlinge in bestehende Stadt-, Raum- und Sozialstrukturen zu gewährleisten.
  • Regelmäßige Kontrollen hinsichtlich der Einhaltung der Mindeststandards und unabhängige Beschwerdestellen sind notwendig, um Missstände sichtbar zu machen und die Unterbringungsverhältnisse zu verbessern.

Mindeststandards: Verbindlichkeit, Empfehlung oder Versäumnis?

Verbindliche Mindeststandards

Mindeststandards mit verbindlichem Charakter gibt es in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Die Bundesländer Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben Empfehlungen zu Mindeststandards erlassen.

Mindeststandards zur Wohnraumversorgung legen fest, was eine menschenwürdige Unterbringung bedeutet bzw. definieren zumindest die minimalen Voraussetzungen dafür. Von 16 deutschen Bundesländern haben jedoch nur neun solche Mindeststandards zur Unterbringung von Flüchtlingen erlassen. Allerdings haben die Mindeststandards nur in fünf Bundesländern tatsächlich einen verbindlichen Charakter, wohingegen vier Bundesländer diese lediglich als Empfehlung ansehen. Die definierten Mindeststandards beziehen sich vorwiegend auf baulich-räumliche Gegebenheiten sowie die Ausstattung der Unterkünfte. Andere Aspekte, die für die Qualität des Wohnens ebenfalls von höchster Relevanz sind, wie beispielsweise die Betreuung durch Sozialarbeiter oder das Verhältnis mit der Hausverwaltung, werden hingegen lediglich indirekt über den Betreuungsschlüssel oder die Qualifikationsanforderungen an das Personal definiert. Selbstverständlich gültige bau-, gesundheits-, brand- und unfallschutzrechtliche Vorschriften werden in den Mindeststandards nicht extra aufgeführt.

Beunruhigend ist jedoch, dass keines der Bundesländer, die Mindeststandards definiert haben, ein Verbot von Wohncontainern aufführt. Lediglich das Innenministerium Schleswig-Holstein gibt eine Empfehlung zum Verzicht auf eine dezentrale Unterbringung in Wohncontainern ab.

Zentrale Forderungen einer menschenwürdigen Unterbringung

Benötigte Wohnfläche Pro Person

Im Vergleich dazu erhob das Statistische Bundesamt zum Stichtag am 9. Mai 2011 in Deutschland eine durchschnittliche Wohnfläche von 42,7 m2 pro Person. Zwar inkludiert diese Angabe auch Flächen für Küche und Sanitäranlagen, jedoch wird anhand dieses Vergleichs deutlich, wie drastisch sich die Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften vom herkömmlichen Lebensstandard unterscheiden.

Obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, kann gar nicht oft genug betont werden, dass es im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen nicht bloß um die Schaffung möglichst großer Kapazitäten geht. Vielmehr müssen soziale und menschenwürdige Leitlinien für eine bedarfsgerechte Versorgung mit Wohnraum in den Mittelpunkt der Diskussion rücken. Dies ist bei Unterkünften für Asylwerber umso wichtiger, da sie meist keiner regelmäßigen Arbeit nachgehen (dürfen) und dadurch sehr viel Zeit in der Unterkunft verbringen. Oberstes Prinzip ist es, eine Integration der Flüchtlinge in bestehende Stadt-, Raum- und Sozialstrukturen zu gewährleisten. Dies sollte in Form von überschaubaren Einheiten, die im Maßstab zu den umliegenden Strukturen stehen, erfolgen.

Bauliche Strukturen: Niemand von uns wohnt gerne in Siedlungen aus Zelten und Containern oder in Sammelunterbringungen wie Turnhallen oder Kasernen. Grundlegende Voraussetzung für eine menschenwürdige Unterbringung sind deshalb geeignete Gebäude in Festbauweise.

Standorte mit Zugang zu sozialer Infrastruktur: Lage und Erreichbarkeit der Unterkünfte gelten als entscheidende Faktoren, welche die Möglichkeit zur Teilhabe am sozialen Leben, den Zugang zu Beratungsstellen, Behörden, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung sowie die Erreichbarkeit von ÖPNV-Anschlüssen und Einkaufsmöglichkeiten bestimmen. Wir würden uns doch auch nicht um eine Wohnung in einem Wald-, Industrie- oder Gewerbegebiet bewerben.

Städtebauliche Einbindung: Da Flüchtlinge nur so kurz wie notwendig in Sammelunterkünften untergebracht werden sollten, muss bereits bei deren Errichtung über mögliche Nachnutzungen nachgedacht werden. Deshalb sollten die Einrichtungen für Flüchtlinge an die bestehende Wohnbebauung angebunden sein, um sie – wenn sie nicht mehr benötigt werden – in den allgemeinen sozialen Wohnungsmarkt integrieren zu können.

Größe der Unterkünfte: Experten empfehlen maximal 50 Personen in einer Unterkunft aufzunehmen und Massenunterkünfte mit Lagercharakter zu vermeiden. Diese bergen nicht nur erhebliches Konfliktpotential innerhalb der Einrichtung, sondern führen auch zu einer Stigmatisierung der Bewohner und schüren Ängste unter der lokalen Bevölkerung.

Abgeschlossene Wohneinheiten und Mindestplatzbedarf: Privatheit und Ruhe sind wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Um den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten, sind daher getrennte und abschließbare Wohneinheiten notwendig. Diese sollten mit eigenen, funktionstüchtigen und sauberen Sanitäranlagen und Küchen sowie mit einem Grundmobiliar ausgestattet sein. Sie sind mit maximal vier Personen zu belegen, wobei auf soziale Beziehungen und insbesondere auf Familienstrukturen zu achten ist. Pro Person sollten mindestens 7 m2 Wohn- und Schlaffläche zur Verfügung stehen.

Gemeinschaftsräume: Damit Sammelunterkünfte auch tatsächlich die Bezeichnung “Gemeinschaftsunterkünfte” verdienen, müssen diese über Räume für Begegnung und Austausch, für Freizeit, Bildung (z. B. Sprachkurse) und Kreativität sowie für kulturelle und religiöse Zwecke verfügen. Darüber hinaus sind separate Kinderspielzimmer mit entsprechender Ausstattung und Lernmöglichkeiten notwendig.

Freiräume und Außenanlagen: Wir allen verspüren täglich den Drang zumindest einmal nach draußen zu gehen und die Sonne auf unserer Haut zu spüren. Deshalb sollten auch Flüchtlingsunterkünfte über Frei- und Grünflächen für Sport, Spiel und Bewegung verfügen.

Soziale Beratung und Betreuung: Nicht nur baulich-räumliche Voraussetzungen sind ausschlaggebend, auch eine qualifizierte Unterstützung durch ein entsprechend geschultes Personal ist unabdingbar. Dabei sollten nicht mehr als 80 Personen pro vollzeittätiger Sozialarbeiterin betreut werden.

Für Menschen mit besonderen Bedarfen (z.B. Traumatisierte, Menschen mit chronischen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen sowie Alleinerziehende) sollten besondere Räumlichkeiten und ein spezifisches Betreuungsprogramm zur Verfügung stehen.

Monitoring und Beschwerdemanagement zur Aufdeckung von Missständen

Werden Standards definiert, müssen diese auch eingehalten werden. Da dies jedoch – insbesondere bei Bauaufgaben, bei denen ein solch enormer Zeit- und Kostendruck herrscht – nicht immer selbstverständlich ist, sind regelmäßige Kontrollen durch die Gesundheitsämter, baurechtliche Überprüfungen und Kontrollen des Brandschutzes notwendig. Eine Nichteinhaltung der Standards kann durch Instrumente wie Vertragsstrafen oder Erstattungskürzungen sanktioniert werden. Bei gefährlichen baulichen Mängeln, erheblichem Schimmelbefall oder ähnlich gravierenden Schäden ist eine unverzügliche Schließung von Unterkünften oftmals die einzige vernünftige Konsequenz. Auch die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle und die Etablierung eines geregelten Verfahrens zum Umgang mit Beschwerden von Bewohnern sind empfehlenswert. Dies würde die verwaltungsinternen Vorschriften zu transparenten Prinzipien machen, die von allen Betroffenen selbst durchgesetzt werden können.

Da viele Flüchtlinge aber einerseits oftmals nicht über ihre grundlegenden Rechte Bescheid wissen und andererseits sich gleichzeitig in einer strukturellen Abhängigkeit gegenüber der Heimleitung und dem Personal befinden, sind solche Beschwerdemanagementsysteme besonders heikel. Voraussetzung dafür ist also eine entsprechende Aufklärung der Heimbewohner über ihre Grund- und Bürgerrechte und darüber, welches Verhalten sie von der Heimleitung und dem Personal erwarten können. Den Beschwerdeführern muss außerdem glaubhaft vermittelt werden, dass sie mit keinerlei nachteiligen Konse­quenzen zu rechnen haben.

Weitere Teile dieser Reihe

  • Teil II – Mindeststandards von Flüchtlingsunterkünften – Kriterien einer menschenwürdigen Unterbringung

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